Berge, Meer und Wein

von Eric Böhnisch-Volkmann

UL-Fluglager in Südfrankreich

Die Idee vom Leben im Hier und Jetzt kommt im berühmten Ausspruch des Konfuzius zur Geltung: „Der Weg ist das Ziel.“ Was hat das mit dem Fluglager der UL-Gruppe des Luftsportvereines Hohenasperg zu tun, das im Juni dieses Jahres nach Südfrankreich führte? Viel, bedenkt man den komplizierten Weg, den die Reise nach Frankreich gleich zu Beginn nahm. Doch der Reihe nach…

Mit den zwei vereinseigenen Flight Design CT und einer zusätzlich gecharterten Maschine gleichen Typs machten sich sechs Piloten vom Heimatplatz Pattonville (EDTQ) aus auf, eine erlebnisreiche Woche in Südfrankreich zu verbringen. Begleitet wurden sie von zwei Pilotinnen mit ihrem Dimona-Motorsegler. Als Stationierungsort wurde Avignon-Caumont (LFMV) gewählt, da dort Hangarierungsmöglichkeiten für alle Maschinen bestanden und ein Best-Western-Hotel direkt am Platz verfügbar war. Am Abflugtag wurden die Flugpläne aufgegeben und nach einem letztmaligen Auftanken in Bremgarten ging es über die Grenze - jedoch nicht für alle.

Ein Team erfuhr vom freundlichen, aber bestimmten Controller von Bâle-Info, dass kein Flugplan für die Maschine vorhanden wäre. Er versicherte, dass er mehrfach nachgesehen hätte, aber bei ihm nichts vorliegen würde. Die vorsichtige Frage, ob man ausnahmsweise auch ohne Flugplan nach Frankreich durchgelassen würde - sinnlos. "You are not allowed to land in France" war die eindeutige Antwort auf die anmaßende Frage. Also zurück nach Bremgarten, wo es nun an der DFS (Deutsche Flugsicherung) war, ihrerseits zu versichern, dass der Flugplan in Ordnung gewesen sei und selbstverständlich an alle FIR (Flight Information Region) in Frankreich gegangen wäre. Ein neuer Plan wurde aufgeben, nochmals gestartet und der gleiche Controller quittierte die over-the-border-Meldung schmunzelnd mit einem "bon voyage". Wo Konfuzius recht hat, hat er recht.

Über eine Zwischenlandung in Macon (LFLM) erreichten wir Avignon. Der Platz ist für unsere Verhältnisse ein Hybrid. Kontrollzone, Linienverkehr mit Bombardier Canadair Regionaljets - vor allem nach Großbritannien -, ULs und Gyrocopter fest stationiert am Platz und wenn gerade wenig Verkehr ist, machen Kunstflieger Turnübungen vom Feinsten - wo gibt es das bei uns? Und das alles in eindeutiger, aber entspannter Kommunikation mit den Controllern. Leider gibt es hier nicht den günstigen UL-Sprit, den wir gerne getankt hätten, nur das edle Avgas ist hier verfügbar. Mit täglich zehn Minuten Flug nach Carpentras (LFNH) im Osten lösten wir das regelmäßig wiederkehrende Problem, dort gibt es unsere Marke. Mit dieser Infrastruktur konnten die Erkundungsflüge beginnen.

Der erste hatte es gleich in sich: Von Carpentras, das praktisch auf Meereshöhe liegt, ging es nach Nord-Osten zum Mont Ventoux auf fast 6300 Fuß. Was für die Teilnehmer an der Tour de France jedes Jahr schweißtreibend ist, war für uns nur eine Frage der richtigen Motordrehzahl, bis dieser beeindruckende, abgeholzte, kahle "Berg des Windes" unter unseren Tragflächen erschien. Unsere Begleiterinnen im Motorsegler, die nicht über so viel Motorpower verfügten, glichen dieses Manko durch persönliches Können aus und schraubten sich geübt mit Thermikhilfe in fast der gleichen Zeit nach oben. Von hier ging es zur ersten Zwischenlandung nach Le Castellet (LFMQ) nördlich von La Ciotat. Hätten wir gewusst, dass die Landegebühr pro UL bei 27 Euro liegt, wären wir als gelernte Schwaben vielleicht weitergeflogen. So hatten wir jedoch die Gelegenheit, den Aéroport International du Castellet zusammen mit der Rennstrecke Circuit Paul Ricard schon aus der Luft zu besichtigen. Der Circuit Paul Ricard ist eine hochmoderne Renn-, Test- und Versuchsstrecke, die von vielen Racing-Teams sowie Auto- und Motorradherstellern genutzt wird. Damit war uns auch die branchenbedingt angemessene Landegebühr verständlich.

Der Höhepunkt des Tages war jedoch der Flug über dem Mittelmeer von La Ciotat, an den Calanques südlich Marseille vorbei, über die Insel Riou, die Bucht von Istres, die Camargue bis nach Candillargues (LFNG) bei Montpellier. Steil abfallende Küstenabschnitte, weiße Inseln im azurblauen Meer, weitläufige Strände, pittoreske Hafenstädte, Salzseen mit den berühmten rosafarbenen Flamingos – das alles im brillanten Licht der Provence, das berühmte Maler wie Cézanne, Picasso oder Vincent Van Gogh für ihre Werke inspirierte.

In Candillargues gelandet stellte sich indes die Frage, was wir hier eigentlich wollen. Staubtrocken, das Gras braun verbrannt, kein Restaurant, keine Erfrischung, kaum Schatten. Mit den wenigen einheimischen Piloten kamen wir ins Gespräch. Plötzlich wurde gefragt, ob wir „die Blériot“ sehen wollen. Ein Flugzeug aus den Anfängen der Fliegerei, ein berühmter Oldtimer hier an diesem abgelegenen Ort? In der Hallenecke stand in der Tat ein flugfähiger Nachbau der Blériot XI, handwerklich perfekt von einem österreichischen Ingenieur hergestellt und, wie man uns glaubhaft versicherte, mit einem originalen Umlaufmotor aus dem Jahr 1912 angetrieben. Für die technikbegeistere UL-Truppe war das ein Augenschmaus und ein weiterer Beweis, dass Konfuzius uns ein guter Reiseleiter war.

Landegebühren wurden hier nicht verlangt, wie überhaupt oft auf unserer Tour. Unser Tankplatz Carpentras war Sonntags gebührenfrei, viele kleine Plätze kennen gar keine Landegebühren und sogar auf dem Verkehrsflugplatz Carcassonne, der insbesondere von Ryanair angeflogen wird, mussten wir nur aus statistischen Gründen ein Formular ausfüllen. Carcassonne war nämlich für einen weiteren Flugtag unser Ziel, um die mittelalterliche Festungsanlage, die von ihrer Größe und ihrem Erhaltungszustand her einzigartig in Europa ist, zu besichtigen. Dafür bot es sich an, von Avignon aus nun den westlichen Küstenabschnitt über das Meer bis Béziers zu fliegen, um somit fast den gesamten französischen Bereich der Mittelmeerküste aus der Luft kennenzulernen.

Allerdings gab es auf dem Weg dorthin eine Hürde zu überwinden bzw. zu unterfliegen. Gemeint ist eine der Tiefflugrouten für das französische Militär, die sich als nord-süd verlaufender Riegel auf der Luftraumkarte darstellte. Wir nahmen die Option wahr, diese unterhalb 800 Fuß über dem Meer zu unterfliegen und levelten uns bei 700 Fuß ein. Die ungewöhnlich niedrige Höhe ermöglichte erstaunlich detailreiche Fotos der Hafenstadt Sète. In Carcassonne angekommen zogen allerdings bedrohliche Gewitter aus den Pyrenäen auf die Stadt zu. Ein Wettercheck legte den sofortigen Rückflug und damit einen Verzicht auf die Stadtbesichtigung nahe. Wir wussten gleich, Konfuzius…

Um wenigstens etwas Kultur zu genießen beschlossen wir, den Rückflug über Nîmes zu machen und das dortige römische Amphitheater zu besichtigen. Innerhalb der Kontrollzone Garons liegt am Stadtrand von Nîmes der kleine Platz Courbessac (LFME), da wollten wir hin. Nach Anmeldung bei der Kontrollzone Garons wurden wir angewiesen – eigentlich eher gebeten – midfield zu melden. Noch bevor wir über dem Platz waren bekamen wir mitgeteilt, dass die Piste in Courbessac soeben gesperrt worden sei, da eine Maschine mit Fahrwerksschaden die Runway blockieren würde. Also wurde der Kurs geändert und Richtung Avignon weitergeflogen. Konfuzius begann, lästig zu werden.

Wenn schon nicht Carcassonne oder Nîmes, dann sollte es wenigstens möglich sein, bei diesem Flug den berühmten Pont du Gard zu überfliegen. Er liegt nur wenige Kilometer nord-westlich Avignon. Es erfolgte eine erneute, schnelle Planänderung, eine Freigabe vom Garons-Controller für einen Kurs nach Norden wurde erteilt und unmittelbar an der Kontrollzone leuchtete in der Abendsonne schon das römische Aquädukt. Die Brücke ist von beeindruckender Höhe und beinhaltet einen der am besten erhaltenen Wasserkanäle aus der Römerzeit in Frankreich. Der Pont du Gard war Teil einer fast 50 km langen Wasserleitung, mit der Wasser von den Quellen nahe dem heutigen Uzès zur Stadt Nîmes transportiert wurde. Ein 360-Grad-Kreis links über der 49 Meter hohen Brücke bot gute Fotoperspektiven und brachte den Ausflug zu einem schönen Ende.

Es gab auch einen Tag, an dem nicht geflogen wurde. Mit einem Mietwagen fuhren wir nach Saintes Maries de la Mer, die malerische Stadt in der Camargue, die wir vorgestern auf unserem Küstenflug schon von oben bewundert haben. Im Juni gab es kaum Touristen, keine Hektik, es war sehr entspannend. Der Strand war leer, das Wasser prickelnd, der Wein kühl. Savoir vivre…

So schön das Baden im Meer auch war, wir wollten lieber fliegen, leider ab jetzt ohne die Motorseglerinnen, die geplant vorzeitig zurück mussten. Nach viel Meer und Küste war das Massiv Central an der Reihe. Eine lohnende Sehenswürdigkeit war auch hier gleich gefunden – die Gorges de l’Ardèche. Wir flogen die Ardèche-Schlucht von ihrem Ausgang her an, der einige Kilometer westlich Orange liegt. Aus Norden hatten wir kräftigen Wind, der über den Hügeln des Massivs starke Abwinde verursachte. Zeitweise konnten wir nur mit Vollgas und reduzierter Geschwindigkeit die Höhe halten, die wir natürlich ausreichend bemessen hatten. Unter uns die roten Kajaks und Kanus der Wassersportler auf der Ardèche, die sich tief in das Gestein eingegraben hat und über uns nur der blaue Himmel. Landeziel war Ruoms (LFHF), wo wir vor Abflug zuvor eine Landegenehmigung eingeholt hatten, die aber telefonisch problemlos erteilt wurde. Der Anflug war höchst attraktiv, der Platz selbst liegt buchstäblich „in the middle of nowhere“, kein Mensch war weit und breit zu sehen. Nach einem weiteren Abstecher in das Zentralmassiv, nach Le Puy (LFHP), flogen wir zurück nach Avignon.

Die Fliegerei in Frankreich ist geprägt von einer Vielzahl ineinander verschachtelter Lufträume, insbesondere in der Nähe der Verkehrsflughäfen. Gerade südlich Avignon waren wir ständig gefordert, uns Einfluggenehmigungen in die Lufträume D geben zu lassen. In allen Fällen wurde das gewährt und wir bekamen oft Freigaben für ganze Routenabschnitte und wurden so von Frequenz zu Frequenz weitergereicht. Zusätzlich sind es die militärischen Restriktionszonen, die, wenn sie aktiv sind, ebenfalls nur mit Freigaben durchflogen werden dürfen. Die Kommunikation mit den Controllern lief auf Englisch einwandfrei. Besonders pragmatisch fanden wir den Fall, in dem um 17.00 Uhr Lokalzeit der Controller pünktlich zu Beginn seines Feierabends die automatische Bandansage anschaltete. Darauf hieß es, dass ab jetzt die Zone nicht mehr aktiv sei.

Auf vielen Plätzen, auch größeren mit Linienverkehr wie zum Beispiel in Le Puy, ist niemand da, der einem vom Tower aus Informationen gibt, weder über die aktive Piste, den Wind oder den Verkehr. Frankreich ist nicht das einzige Land, das so verfährt – in vielen nordischen Ländern ist es so üblich. Es erzieht zur Disziplin, dem Funk der Piloten air-to-air zuzuhören, eigene klare Positionsmeldungen zu machen und vor allem ständige Luftraumbeobachtung durchzuführen. Wir hatten uns auf die französischen Verhältnisse gut vorbereitet, die Besonderheiten am Boden und in der Luft akzeptiert und konnten so die Schönheiten dieses Landes und die Gastfreundschaft der fliegenden und nicht-fliegenden Bevölkerung genießen. Pas de problème, merci beaucoup!

Text: Hans-Jürgen Reichardt
Bilder: Hans-Jürgen Reichardt, Christian Görg

Dieser Text erschien zuerst in DER ADLER Ausgabe 08/2014 (PDF).

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