Als Neupilot zum CERN

von Eric Böhnisch-Volkmann

Mit 40 fangen viele Männer an zu spinnen. Sie kaufen sich einen Porsche oder kündigen, um eine Bar aufzumachen. Oder sie lernen das Fliegen, so wie ich. Mein oft schöner und manchmal mühseliger Weg zur Privatpilotenlizenz.

Meine Frau kennt ihn schon, den glasigen Blick, wenn im Radio „Über den Wolken“ spielt. Wenn da nur die Kurzsichtigkeit nicht wäre. Und das liebe Geld. Doch irgendwann nagelt sie mich fest: Wie kurzsichtig genau man denn sein dürfe und wie viel es koste? Ich habe keine Ahnung und lande erst auf der Webseite des LSV Hohenasperg, der schon bald „mein“ Verein werden sollte, und kurz darauf ganz analog auf dessen Infoabend. Das Abenteuer beginnt…

Preflight-Check

Und zwar mit der Entscheidung, ob es eine Lizenz für Ultraleicht- oder für Motorflugzeuge werden soll [eine Entscheidungshilfe gibt es hier]. Ersteres ist deutlich günstiger; die aus den Motorseglern — mehrere davon werden gern auch mal „Putzlappenparade“ genannt — hervorgegangenen Fluggeräte transportieren aber nur bis zu zwei Personen. Motorflugzeuge dagegen sind die Einstiegsklasse der „richtigen“ Flugzeuge. In die Cessna 182 des Vereins passen problemlos vier Erwachsene mit Gepäck. Da die Auguren auch Flüge in den Urlaub voraussehen, entscheide ich mich für letzteres.

Nun noch: Sehstärke nicht schlechter als +5.0 oder -6.0 Dioptrien? Einnahmensituation entspannt? €15.000 in zwei Jahren können es schon werden. Der Augenarzt gibt grünes Licht; meine Frau zerstreut letzte Bedenken.

Die Theorie zuerst

Unser Lehrer, Wolfgang Winkler, beobachtet in den Monaten des Theorieunterrichts erheitert die Spiralen in unseren Augen, wenn er erklärt, warum das Wetter auf der Rückseite einer durchziehenden Front besser ist als davor. Wohl denen, die noch konkrete Fragen formulieren können.

Die Prüfung naht. Ob an der Bushaltestelle oder der American-Football-Tribüne: gelernt werden kann überall. Der Platz vor dem Kamin ist abends für Landkarten und Geodreieck reserviert. Am 18. Dezember 2013 kehre ich glücklich nach bestandener Prüfung vom Regierungspräsidium Stuttgart heim.

Die ersten Flugversuche

Auf den Start von unserem Heimatflugplatz Pattonville folgt der erste Landeversuch im nahe gelegenen Heubach. Die Betonung liegt hier deutlich lesbar auf „Versuch“. Schon bald wird mir klar, warum die Fluglehrerausbildung sehr viel Wert darauf legt, „das Flugzeug aus ungewöhnlichen Fluglagen zu befreien“. Ungewöhnlich bedeutet bei dem, was wir hier tun, schnell auch unsicher, unschön, und unlebendig.

Die kommende Monate beherrschen so genannte Platzrunden mein Fliegerleben, standardisierte Verfahren zum Üben von Landeanflug und Wiederstart. Erkenntnis aus dieser Phase der Verzweiflung: Starten ist verhältnismäßig einfach, geradeausfliegen auch. Landen jedoch erfordert sehr, sehr viel Übung. Da hilft aller IQ nichts.

Nestflucht

Aber irgendwann ist es dann soweit: Martin, mein Fluglehrer, verriegelt die Tür diesmal von außen und sagt: „Die nächsten drei Runden drehst Du alleine. Ich bin mal auf dem Turm. Viel Spaß.“ Der erste, vorgeschriebene, Alleinflug ist die Feuertaufe des angehenden Piloten. Jeder sehnt sich diesen Augenblick heran; jeder fürchtet, dass er kommen könnte. Die Piper erhebt sich in den Himmel über Heubach und ich weiß, dass ich jetzt auf mich allein gestellt bin. Weniger als zwei Minuten später setze ich lebend wieder auf. Vielleicht wird das mit der Lizenz ja doch noch was.

Hinaus in die weite Welt

Jetzt wird mit jedem Flug die Welt ein klein wenig größer. Zuerst nur eine halbe Stunde rund um den Radiosender von Mühlacker, dann nach Mengen, Walldürn, Schwäbisch Hall. Und schließlich auf zum großen „Dreiecksflug“: 270 Kilometer, zwei fremde Plätze und wieder zurück. Ich besuche meine Tante in Breitscheid und lande auf dem Rückflug in Aschaffenburg.

War die Landung in Breitscheid noch trotz Seitenwinds problemlos, so hielt Aschaffenburg einen geplatzten Reifen samt Ad-hoc-Reparatur für mich bereit. Amüsant der Blick des Mannes von der Luftaufsicht („Lizenz, bitte.“ — „Habe ich nicht.“); weniger amüsant das einsame Gewitter über Stuttgart im sonst wolkenlosen süddeutschen Himmel. Der Reifenwechsel gibt dem widrigen Wetter Gelegenheit, das Weite zu suchen, bis ich trocken und sehr zum Aufatmen aller Beteiligten wieder in Pattonville lande.

Die Prüfung

Die schönste Schülerzeit endet irgendwann mit einer Prüfung. Im August 2014 ist es endlich soweit: kein schlechtes Wetter erlaubt weiteres Prokrastinieren. Der Prüfungsflug selbst führt uns ins schöne Schwäbisch Hall. Über die komplett vergeigte Ziellandeübung decken wir den blumigen Mantel des Schweigens. Die zweite ist immerhin als solche erkennbar. Zurück geht’s nach Stuttgart und einmal noch mit allem, was die kleine Piper Cadet hergibt, über die Piste des Internationalen Verkehrsflughafens gebrettert, und ich klettere in Pattonville verschwitzt und stolz aus dem Cockpit. Wenige Wochen später halte ich sie in den Händen: meine Privatpilotenlizenz.

CERN

Und was nun? Nach einigen Rundflügen findet sich schon bald ein würdiges Ziel für einen „erwachsenen“ Aus-Flug: eine bereits im Frühjahr geplante organisierte Führung durch’s CERN. Mit einer Flugzeit von knapp über zwei Stunden ideal. Am Morgen des 25. Oktober 2014 hebt die D-ENNU von Pattonville aus ab, an Bord meine Tochter und ich, um zwei Stunden später wohlbehalten den Genfer See zu überqueren.

Dem probemlosen Flug folgt ein Nerven zehrender Transport Richtung CERN, unter anderem dank vollkommen taxiuntauglicher Grenzregelungen. Nur wenige Minuten zu früh werden wir von den schon auf uns wartenden anderen Teilnehmern begrüßt. Die Kunde, dass wir selbstfliegend anreisen wollten, hatte sich trotz allem Bemühens meinerseits selbstverständlich weitestmöglichst verbreitet.

Jenseits des Cockpits

Fliegen lernen ist eine Aufgabe, speziell, wenn man es sich bereits lauschig in der zweiten Lebenshälfte eingerichtet hat. Nach zwanzig Jahren wieder die Schulbank zu drücken ist ungewohnt. Und ein Flugzeug in die Luft zu bekommen ist einfach, es in wiederverwendbarem Zustand zurück auf die Erde zu bekommen, deutlich weniger. Alles dauert deutlich länger, als anfangs gedacht. Man braucht viel Zeit und auch nicht wenig Geld. Und schließlich: Ich habe enormen Respekt vor denen, die sich mit voller Energie in dieses Hobby werfen, obwohl ihnen Lernen deutlich schwerer fällt als mir, oder die sich jeden verflogenen Euro förmlich vom Mund absparen müssen. Verneigung.

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